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Personalengpässe und Energiekrise setzen der Industrie zu
Wirtschaft 7 Min. 08.01.2023
Interview

Personalengpässe und Energiekrise setzen der Industrie zu

Produktion und Investitionen vieler Luxemburger Industriebetriebe wurde durch den Mangel an Komponenten ausgebremst - nur eine von vielen Hürden.
Interview

Personalengpässe und Energiekrise setzen der Industrie zu

Produktion und Investitionen vieler Luxemburger Industriebetriebe wurde durch den Mangel an Komponenten ausgebremst - nur eine von vielen Hürden.
Foto: Marc Wilwert
Wirtschaft 7 Min. 08.01.2023
Interview

Personalengpässe und Energiekrise setzen der Industrie zu

Marco MENG
Marco MENG
Das Jahr 2022 endete mit Krieg, Inflation und Energiekrise. Wie geht es im neuen weiter? Zumindest für das erste Halbjahr hat René Winkin, Geschäftsführer des Luxemburger Industrieverbands Fedil, einen eher pessimistischen Ausblick.

René Winkin, die Energiekrise wurde nicht so schlimm wie befürchtet?

Die Mengen reichen bisher. Der sinkende Verbrauch in der Industrie hat sicherlich ebenfalls zur Entspannung der Lage beigetragen.

Einige größere Industrieverbraucher, die schon seit Ende 2021 teure Energie beziehen, haben das schon einpreisen müssen. Der Großteil der Industrie, mittelständisches Gewerbe, wird aber wahrscheinlich erst jetzt richtig die gestiegenen Energiepreise zu spüren bekommen, die dann fünf bis zehn Mal höher sind.

Wie geht es dann weiter?

Europa wird noch eine Zeit lang mit Knappheit und extrem hohen Energiepreisen zu kämpfen haben. Dies wird sich notgedrungen auf die energieintensive Industrie auswirken. Für einige Aktivitäten wird 2023 wohl zum Schicksalsjahr.

2023 für viele zum Schicksalsjahr.

Im Energiebereich ist und bleibt Europa enorm importabhängig. Die USA haben Fracking gemacht. Wir haben Pipelines nach Russland gebaut. Auch in der aktuellen misslichen Lage stellen wir uns nicht die Frage, könnte man für diese Übergangszeit Fracking machen? Nein, wir gehen jetzt nach Katar und kaufen von dort. Gleichzeitig wird in Brüssel an einem Lieferkettengesetz gearbeitet, welches diese Importe wieder infrage stellen könnte. 

René Winkin, Geschäftsführer des Luxemburger Industrieverbands Fedil, kritisiert die fehlende Kohärenz zwischen politischen Entscheidungen und wirtschaftlicher Realität.
René Winkin, Geschäftsführer des Luxemburger Industrieverbands Fedil, kritisiert die fehlende Kohärenz zwischen politischen Entscheidungen und wirtschaftlicher Realität.
Foto: Marco Meng

Kohärenz sieht anders aus. Wir schreiben vor, die Treibhausgase zu senken, ab 2035 gibt es keine neuen Verbrenner mehr. Mit der Wunschvorstellung: Dann werden wir wohl führend bei den klimafreundlichen Technologien werden. Dann werden wir wohl eine Batterieindustrie haben. Nein. Wir werden viele Batterien brauchen - aber ob wir tatsächlich die Industrie dazu haben, das ist noch längst nicht gesagt. 

Es ist nicht gesagt, dass Europa auf Dauer eine große Windkraftanlagenindustrie haben wird, nur weil wir viel Windkraft brauchen.

Genauso wenig ist auch gesagt, dass Europa auf Dauer eine große Windkraftanlagenindustrie haben wird, nur weil wir viel Windkraft brauchen. Bei der Photovoltaik haben wir es gesehen. Die Amerikaner haben den chinesischen Produzenten Zölle auf ihre Solartechnik gelegt, weil sie genau wussten, dass diese billige Produktion die amerikanische ruinieren würde. Die europäische wurde ruiniert. Bei Batterien, fürchte ich, wird es ähnlich sein. Wenn Sie nur neue Nachfrage schaffen, aber nicht beim Angebot mitreden können, entstehen Ungleichgewichte oder sogar Engpässe.

Und was ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien?

Die Menschen wollen die Energiewende, aber oft nicht die Lösungen dafür. So entpuppen einige Protagonisten der Energiewende sich eigentlich als Prediger des Abschwungs: Kohle ist keine Option, Carbon Capture (CO2-Speicherung, d. Red.) wird abgelehnt, Gas allenfalls eine Übergangslösung, Atomkraft geht gar nicht. Sicher, jede dieser Technologien hat ihre Schwachpunkte. Aber mit dieser permanenten Multiplikation der Opposition würde schon heute die Wirtschaft nicht mehr ausreichend mit Strom versorgt werden, und der Strombedarf steigt.


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Statec hält drei Indexierungen 2023 für möglich
Für das laufende Jahr sieht der Statec eine Inflationsrate von 6,4 Prozent – gegenüber 6,6 Prozent in der vorherigen Prognose.

Es sollte zu denken geben, wenn Klimaaktivisten wie beispielsweise Greta Thunberg das Wirtschaftsmodel kritisieren, jedoch akzeptieren, dass Atomkraft wohl notgedrungen eine Übergangstechnologie sein muss. Wir Luxemburger haben die Mentalität: die Stromversorgung ist einfach da. Die Deutschen, die Franzosen, die Belgier stellen sie uns zur Verfügung. Luxemburg, so scheint es, sieht seine Rolle darin, die Nachbarn dabei zu belehren.

Die Betriebe spüren nun gleichzeitig eine Auftragsflaute?

Die Nachfrage nach den Lockerungen war hoch, Kaufkraft war da. Seit Herbst aber ändert es sich: Die Nachfrage geht runter, die Kosten sind aber gleich oder steigen sogar. Wir gehen also in ein Jahr, in dem die Energiekosten hoch bleiben, Lohnkosten ansteigen und gleichzeitig bricht die Nachfrage in Bereichen wie dem Bausektor ein. Also zumindest für die erste Hälfte des neuen Jahres ein eher pessimistischer Ausblick.

Wird dann die Inflation wieder runtergehen?

Sinken kann sie, weil das Vergleichsjahr 2022 ja schon hohe Inflation hatte, also noch einmal acht oder zehn Prozent Steigerung darum eher unwahrscheinlich sind. Auch die abflachende Nachfrage wird die Preise drücken. Aber bei einigen Industrien kommen die hohen Energiepreise, wie gesagt, erst jetzt an und werden jetzt erst eingepreist. Auch werden Preise in vielen Sektoren hochgehen, weil momentan die Löhne außergewöhnlich steigen.

Problematisch bei der Inflation ist vor allem, dass sie getrieben ist von importierten Preiserhöhungen, von denen hiesige Firmen kaum oder gar nicht profitieren.

Beim Fachkräftemangel gibt es auch keine Entwarnung?

Ähnlich wie im Handwerk besteht auch in der Industrie ein Mangel an Fachkräften. Vielleicht hat die Industrie an einigen Punkten mehr Möglichkeit durch Automatisierung den Bedarf an manchen Stellen etwas runterzufahren. 

Gleichzeitig kamen neue Feiertage und Spezialurlaube dazu, was zu mehr Abwesenheiten führt. Die Nachfrage nach Telearbeit ist hoch, denn Homeoffice ist nicht nur ein Thema in der Bankenwelt. Mehr oder weniger die Hälfte der Arbeitsplätze in der Industrie sind telearbeitsfähig. Auf diesem Gebiet haben wir ein Attraktivitätsproblem in den Augen einiger Grenzgänger.

Die Politik soll jetzt nicht den Fehler machen, von oben herab zu dekretieren, die Lösung sei eine generelle Reduzierung der Arbeitszeit. Das Pendant dazu sind die Ansprüche der Leute, die wollen, dass morgen die Solaranlage aufgestellt, die Waschmaschine geliefert oder der Personalausweis ausgestellt wird. Das passt nicht zusammen. Schon jetzt liegen viele Verzögerungen nicht nur daran, dass Material fehlt.

Aber es fehlt den Betrieben nach wie vor Material, zum Beispiel Mikrochips?

Nach Corona gab es viele interessante Investitionsprojekte bei Luxemburger Betrieben. Aber viele Vorhaben konnten nicht wie geplant durchgezogen werden, weil Komponenten fehlen. Auch die Produktion wurde gebremst, weil Komponenten fehlten. Das war zum Beispiel bei Automobilherstellern so, was die Luxemburger Zulieferer berührte. Wenn sich manche Hersteller nun auf Oberklassemodelle konzentrieren, wo die Margen besser sind, kann das für Zulieferer schwer werden, wenn sie von großen Mengen abhängig sind, also von Autos im Massenmarkt und nicht allein von Oberklasse-Modellen leben können.

Wie steht es damit, mehr selbst zu produzieren, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren?

Die Erkenntnis war da. Die USA subventionieren gerade den Bau von Chipfabriken mit 120 Milliarden Dollar. In Europa reden wir nun schon seit Jahren von einem Chips Act. Aber vergleichbar mit dem, was die USA gerade umsetzen, ist in Europa nichts.

Die USA sind mit den Taten näher an ihren Worten als die EU.

Bei anderen Zukunftsbranchen wie Batterietechnologie oder Wasserstoff ist es ähnlich. Die USA sind mit den Taten näher an ihren Worten als die Europäische Union. China ohnehin.

Eine gemeinsame EU-Wirtschaftspolitik gibt es nicht. Könnte man dennoch etwas verbessern?

Im Beihilferecht, Fusionsrecht, was Genehmigungsprozesse anbelangt, da könnte man sicher viel verbessern. Ich halte es da mit Kommissionsvizepräsident Timmermans, wenn er mahnt, wir könnten die großen Herausforderungen von heute und morgen nicht mit den Politiken und Regelwerken von gestern angehen.

In der aktuellen Krise wird uns wieder sehr bewusst, dass wir als kleines offenes Land darauf angewiesen sind, dass Lösungen europäisch sind, dass der europäische Markt funktioniert und wir ein level playing field haben. Weil es europäisch keine raschen Antworten auf die aktuellen Krisen gibt, außer der „ihr dürft etwas mehr Subventionen geben“, machen einige Mitgliedstaaten es jetzt einfach auf ihre Art und Weise. Dies führt dann zu regionalen Konkurrenzverzerrungen.

Und die Luxemburger Industriepolitik?

Die letzten großen Industrieprojekte, die dann doch nicht umgesetzt wurden, zeigen, dass wir ein Problem haben. Auch bei uns besteht nicht immer Kohärenz. In der Pandemie wurde viel von Autonomie und lokal produzieren geredet, aber dann in der langfristigen Strategie fragt man sich, wo darin überhaupt noch Platz für die Industrie ist.

Wenn ich an den Wahlkampf 2018 zurückdenke, erinnere ich mich an Aussagen, neue Industrie mache nicht mehr viel Sinn, denn man müsse Rohstoffe importieren, um sie umzuwandeln und die Fertigprodukte wieder exportieren. Die Leute dazu kommen außerdem größtenteils aus dem Ausland. Ja, das ist so, und die Energie dafür kommt auch aus dem Ausland. Dank Import und Export schaffen wir Mehrwert in großen Teilen unserer Wirtschaft. Da sieht man, wie irrational und losgelöst von der wirtschaftlichen Realität manchmal diskutiert wird.

Halfen denn die Tripartitebeschlüsse?

Es ist gelungen, eine schädliche Explosion der Löhne über die Indexierung zu vermeiden. Die von der Energiekrise stark betroffenen Betriebe werden unterstützt, und die Energiewende soll beschleunigt werden. Dies bietet Planungssicherheit. Es wird jedoch von vielen Seiten zu Recht bedauert, dass die getroffenen Maßnahmen nicht sozial selektiv sind, dass es an preislichen Sparanreizen beim Energieverbrauch fehlt und dass das Gesamtpaket deutliche Spuren im Staatshaushalt hinterlässt.

Niemand soll merken, dass Energie teurer wird.   

Luxemburg hat die Energiepreise für Privathaushalte zu 100 Prozent für alle Einkommensschichten eingefroren. Niemand soll merken, dass Energie teurer wird. Kaufkrafterhalt für jeden und weiter wie bisher um jeden Preis, das war die Devise unserer Sozialpartner am Verhandlungstisch. Wenn jeder es in Europa so machen würde wie Luxemburg - quasi null preislichen Anreiz bei Haushalten, um in der Krise Energie zu sparen und Ablehnung mehrerer bedeutender Stromproduktionen - dann hätten wir ein riesiges Versorgungsproblem.

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