Nicolas Henckes: "Sammelklagen sind keine gute Lösung"
Nicolas Henckes: "Sammelklagen sind keine gute Lösung"
Seit Langem wird in Luxemburg die Forderung immer lauter, die Rechte geschädigter Verbraucher zu stärken und eine Art Sammelklage vor Gericht zu ermöglichen. Nun, nach Jahren der Diskussion, macht die blau-rot-grüne Regierung den Weg frei: Paulette Lenert (LSAP), Ministerin für Verbraucherschutz, kündigt kurzfristig einen entsprechenden Gesetzentwurf an. Konsumenten sollen die Möglichkeit bekommen, gemeinsam vor Gericht gegen betrügerische Firmen zu klagen und leichter Schadenersatz zu erstreiten. Während die Verbraucherschützer den Plan der Ministerin begrüßen, ist in der Wirtschaft Widerstand spürbar. Nicolas Henckes, Direktor der Confédération luxembourgeoise de commerce (clc) und Mitglied des Exekutivkommitees der Union des entreprises luxembourgeoises (UEL), erklärt im Gespräch mit dem„Luxemburger Wort“ die Bedenken.
Nicolas Henckes, was stört Sie als Vertreter der Unternehmen am Modell der Sammelklage besonders?
Meiner Ansicht nach sind Sammelklagen keine gute Lösung. In den letzten Jahren wurden bereits bestimmte Prozeduren auf den Weg gebracht, um den Verbraucherschutz zu stärken; dazu gehören außergerichtliche Streitbeilegung oder Mediation. Diesen Instrumenten aber wurde bislang nicht die Chance gegeben, sich zu bewähren. Dabei führen diese alternativen Konfliktlösungen meist schneller zum Ziel und sind zudem kostengünstiger als Sammelklagen. Auch hat man in verschiedenen Ländern bereits äußerst schlechte Erfahrungen mit Sammelklagen gemacht. Man muss nun aufpassen, dass wir in Luxemburg die Weichen bei der geplanten Gesetzgebung nicht falsch stellen.
Fälle wie der VW-Dieselskandal zeigen aber, wie machtlos Verbraucher sind, wenn es darum geht, Ansprüche durchzusetzen. Da kann es doch nicht falsch sein, ausgewogene Kräfteverhältnisse zu schaffen...
Verbraucherschutz klingt immer gut. Aber Politiker müssen sich über ihr eigenes Marketing hinaus auch fragen, was ein Vorschlag bringt und ob die Maßnahme vertrauensbildend ist auf einem Markt, für den andere Konfliktlösungsverfahren bessere Ergebnisse bringen. Außerdem kann das Instrument Sammelklage häufig missbraucht werden.
Wie sieht denn so ein „Missbrauch“ aus?
Zum Beispiel könnten interessierte Organisationen Werbung für sich machen, obwohl dann meist nicht viel dahintersteckt. Das Hauptproblem, das wir aber sehen, ist folgendes: Wenn ein Betrieb verklagt wird und sich herausstellt, dass es keinen Fehler gab, ist trotzdem ein großer Schaden entstanden. So kann beispielsweise die Reputation nachhaltig beschädigt sein. Dies im Nachhinein wieder auszubügeln, ist sehr schwierig. Es ist daher sehr wichtig, dass das Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung im künftigen nationalen Gesetz vorrangig berücksichtigt wird.
Auch die Europäische Union plant im Zuge des Dieselskandals die Einführung von Sammelklagen. Was halten Sie von diesen Brüsseler Plänen?
Die europäische Richtlinie ist derzeit noch in der Diskussion. Die Mitgliedländer sind sich in vielen Punkten nicht einig, weil das Thema juristisch und technisch sehr komplex ist. Es handelt sich ja nicht nur um rein politische Spielereien, sondern um juristische Argumentation und Rechtsfragen – da muss man schon genau aufpassen, was man macht.
Welche grundsätzlichen Fragen stellen sich mit diesem Gesetz?
Eine für uns wichtige Frage betrifft den Anwendungsbereich des Gesetzes, die Begriffe Verbraucher und Unternehmen müssen definiert werden. Ein Beispiel: Gilt jemand, der als Patient einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsucht, dort als Verbraucher? Fraglich ist auch, ob es keine Konflikte mit dem Wettbewerbsrecht gibt, das schon einige Prozeduren vorgibt. Unserer Meinung nach, wenn schon ein Gesetz, dann muss der Gesetzgeber den Rahmen für Sammelklagen in Luxemburg klar eingrenzen.
Wie stellen Sie sich das vor?
Wir wollen zum Beispiel die Sammelklagen auf das heutige Verbraucherrecht im engsten Sinne begrenzen. Dabei stellt sich folgendes Problem: Wenn jemand von Luxemburg aus seine Ware europaweit verkauft, wie wird eine Sammelklage dann gehandhabt? Kann ein spanischer Konsument, der dort gekauft hat, in Luxemburg klagen und gleichzeitig in Spanien? Das sind Koordinationsfragen, die auf EU-Ebene geregelt werden müssen.
Es wäre demnach besser gewesen, wenn die luxemburgische Regierung die entsprechende europäische Richtlinie abgewartet hätte?
Absolut, und das haben wir der vorherigen Regierung auch gesagt. Wir sollten uns die europäischen Texte genauer anschauen und die dann in nationales Recht umsetzen. Jetzt plötzlich, nach der Wahl, meint die Regierung, das alles sofort umsetzen zu müssen.
Warum prescht die Regierung so vor?
Aus politischem Opportunismus wahrscheinlich! Denn technisch gesehen, weiß ich nicht, ob Sammelklagen viel bringen werden. Außerdem gibt es vom juristischen Standpunkt her die Problematik der Interessenkonflikte von verschiedenen Organisationen, die die Interessen der Verbraucher vertreten, etwa die Union luxembourgeoise des consommateurs (ULC). Eine Organisation wie die ULC lebt auch von den Beiträgen ihrer Mitglieder. Und immer neue Mitglieder bekommt sie nur, wenn die ULC möglichst laut verkündet, dass sie Anwalt der Verbraucher ist. Das wäre aber nicht im Interesse des Systems und der Verbraucher, sondern nur im Interesse der Organisation.
Man muss bei Sammelklagen sicherstellen, dass klar ist, wie diese finanziert werden und wer bei Prozessgewinn die Entschädigung kassiert.
Wie lässt sich das verhindern?
Man muss bei Sammelklagen sicherstellen, dass klar ist, wie diese finanziert werden und wer bei Prozessgewinn die Entschädigung kassiert. Es kann nicht sein, dass ein Verbraucher, um einen Schadenersatz zu bekommen, Mitglied der ULC sein muss. Vor allem nicht, wenn man weiß, dass die ULC auch noch ganz stark vom Staat finanziert wird. Der Hauptvorteil der Sammelklagen soll ja das Teilen der Kosten unter den Klagenden sein. Deshalb sehen wir nicht ein, warum die öffentliche Hand solche Klagen subventionieren müsste.
Haben Sie der Regierung diese Bedenken schon mitgeteilt?
Das haben wir bereits vor den Parlamentswahlen gemacht. Wir haben das Wirtschaftsministerium im Juli unsere Beschwerden und Empfehlungen schriftlich wissen lassen.
Welches Ziel wollen Sie erreichen?
Wir versuchen der Regierung zu sagen: Wenn ihr das unbedingt machen wollt, dann macht es, aber bitte macht keinen Unsinn! Wir wollen auch auf folgendes spezifische Risiko für Luxemburg aufmerksam machen: Wenn wir hierzulande ein „Supergesetz“ für Verbraucherschutz schaffen, durch das etwa hoher Schadenersatz geltend zu machen ist oder Sammelklagen sehr einfach loszutreten sind, stellt sich die Frage, wie es mit ausländischen Unternehmen, die von Luxemburg aus international agieren, weitergeht. Werden diese dann von allen europäischen Konsumenten bei uns in Luxemburg verklagt? Die Regierung muss unserer Ansicht nach sicherstellen, dass diese Gefahr durch das künftige Gesetz abgewendet wird.
Fürchten auch Sie, dass wir in Europa bald US-amerikanische Verhältnisse haben werden. Tatsächlich sind Sammelklagen – sogenannte class actions – bei Firmen in den USA ein Schreckenszenario...
Bei Sammelklagen kann man sich alles vorstellen, die verrücktesten und katastrophalsten Ideen. Die einzige Grenze ist hier die Fantasie der Verbraucher. Wenn man auch sieht, wie schnell sich Verbraucher in den sozialen Medien wegen einer Kleinigkeit aufregen können, muss befürchtet werden, dass künftig auch tatsächlich Marginales vor Gericht landet. Wenn bei Firmen etwas schiefläuft, ist es meistens ein Unfall, etwas, worauf sie nicht aufgepasst haben. In 99 Prozent der Fälle hat die Firma es nicht bewusst gemacht. Die meisten Betriebe haben kein Interesse daran, dass es Zoff gibt und bieten meistens eine Entschädigung an.
Wenn man Ihnen länger zuhört, könnte der Verdacht aufkommen, dass Sie den Verbraucherschutz für nicht so wichtig erachten?
Das wäre tatsächlich ein völlig falscher Eindruck. Natürlich soll ein geschädigter Kunde Schadenersatz bekommen. Auch Unternehmer sind, zumal im privaten Leben, Kunden und damit Verbraucher. Wir sind beileibe nicht dagegen, dass dem Recht eines Kunden entsprochen wird; das ist völlig normal. Worum es uns geht ist im Sinne der Unternehmen sicherzustellen, dass die Konsequenzen aus einem möglichen Gesetz für beide Seiten, Verbraucher und Firmen, ausgewogen und fair sind. Auch deshalb wünschen wir uns, dass zu Beginn einer solchen Auseinandersetzung den Parteien die Möglichkeit eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens angeboten wird.
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