UEL: Luxemburg muss sich anstrengen, um nicht abgehängt zu werden
UEL: Luxemburg muss sich anstrengen, um nicht abgehängt zu werden
Nur ein Land mit einer starken Wirtschaft kann auch einen starken Sozialstaat finanzieren. Hier muss Luxemburg laut UEL wieder Fahrt aufnehmen.
Michel Reckinger, Jean-Paul Olinger, Personalmangel, Energiepreise, CO2-Abgaben. Ist man noch gerne Unternehmer? Junge Leute in Luxemburg überlegen wohl eher, zum Staat zu gehen, statt sich selbstständig zu machen …
Reckinger: Unternehmergeist ist eine Charaktereigenschaft, die vielleicht heute, gemessen an den Herausforderungen, ausgeprägter sein müsste als früher. Natürlich existieren Alternativen zum Unternehmertum. Persönlich kenne ich jedoch kaum Unternehmer, die ihren Schritt ins Unternehmertum bereuen.
Ein großes Problem ist dennoch die Unternehmensnachfolge.
Reckinger: Viele Unternehmensinhaber kommen ins Rentenalter, und wenn die Nachfolge innerhalb der Familie nicht gesichert ist, geht man extern auf die Suche. In unserem Bildungssystem wird Unternehmergeist nur unzureichend vermittelt und wird innerhalb einer bestimmten Frist kein Nachfolger gefunden, kann es durchaus sein, dass der Betrieb aufgelöst wird, oder Mitarbeiter und die Betriebsmittel von einem anderen Unternehmen übernommen werden.
Außer Kundenwünsche zu erfüllen, kostet Administratives viel Zeit und Geld. Nicht jeder Betrieb kann es sich leisten, dafür Personal einzustellen.
Reckinger: Den klassischen Kleinunternehmer, der die Woche über sein Handwerk ausübt und am Wochenende zusammen mit seiner Frau die Rechnungen schreibt, gibt es heute nicht mehr.
Der administrative Aufwand allein ist heute ein Fulltime-Job. Die Digitalisierung, mit Blick auf Produktivitätssteigerungen, bleibt deswegen ein riesiger Aufgabenbereich, der angepackt werden muss, auch von den Unternehmen.
Die Digitalisierung in Luxemburg bleibt ein riesiger Aufgabenbereich.
Hohe Löhne haben bislang für genügend Personal gesorgt - das hat sich aber geändert?
Reckinger: Wir haben in Luxemburg, genauso wie in ganz Europa, ein Demografieproblem. Heute ist es so, dass in jeder Branche, vom Handwerk über Industrie bis zu den Banken ein Mangel an Fachkräften herrscht. Es fehlt sogar an weniger qualifizierten Arbeiternehmern. Das ist ein strukturelles Problem, das so schnell nicht mehr verschwinden wird. Deshalb muss auch an einer betriebsbezogenen Flexibilisierung der Arbeitszeit und, gemeinsam mit den Nachbarstaaten, an einer Vereinfachung des Teletravail gearbeitet werden. Die Gehälter im Ausland und in Luxemburg nähern sich an. Darauf müssen wir reagieren. Unsere Nachbarländer kämpfen ebenfalls mit Fachkräftemangel. Von daher müssen wir andere Anreize finden, die den Standort Luxemburg für Arbeitskräfte aus dem Ausland attraktiv machen.
Olinger: Nicht nur die Mitarbeiter wünschen sich Telearbeit, auch die Unternehmen wollen ihren Mitarbeitern, sofern möglich, Homeoffice anbieten, wie eine von der UEL zusammen mit den Berufskammern durchgeführte Umfrage zeigt. Die Unternehmen möchten diesbezüglich attraktiv sein. Teletravail wäre ein wichtiges Element in einer allgemeinen Neugestaltung der Arbeitsorganisation. Wichtig ist, dass man innerhalb der Branchen, oder besser noch innerhalb der Unternehmen, gemeinsam mit den Mitarbeitern, Lösungen sucht und findet. Die strengen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die diese Flexibilität heute nicht ermöglichen, müssen wir überwinden.
Auch die Unternehmen wollen ihren Mitarbeitern Homeoffice bieten.
Politiker, vielleicht gerade vor einer Wahl, bringen als Flexibilisierung der Arbeitszeit dann eine Vier-Tage-Woche ins Spiel. Ist das realistisch?
Olinger: Das nützt weder den Unternehmen noch den Mitarbeitern. Solche Modelle muss man vom Ende her denken: Wir haben heute ein Mobilitätsproblem, ein Problem auf dem Wohnungsmarkt und Fachkräftemangel. Eine generelle und undifferenzierte Arbeitszeitverkürzung wird all diese Probleme verschärfen und für diejenigen, die arbeiten, den Stresspegel erhöhen. Das heißt, es gibt eigentlich nur Verlierer.
Reckinger: Und wenn bei gleichbleibendem Gehalt alle zehn Prozent weniger arbeiten, wird zwangsläufig alles auch zehn Prozent teurer, da ich an die produktivitätssteigernde Wirkung solcher Maßnahmen nicht glaube. Leider steht hinter solchen Forderungen oft politisches Kalkül und sind daher in der Umsetzung ziemlich unausgegoren.
Mancher sagt nun vielleicht: alles nur Panikmache, die Insolvenzzahlen sind nicht gestiegen, das ist alles Jammern auf hohem Niveau. Was entgegnen Sie?
Olinger: Krisen, die wir bis jetzt hatten, wurden in großen Teilen über das Staatsbudget abgefedert. Das heißt, die Rechnung wird an die nächste Generation weitergereicht. Mit Kurzarbeit und Beihilfen an Unternehmen konnte man kurzfristig verschiedene Probleme überwinden, ohne dass man sozial in schwieriges Fahrwasser geraten ist. Das greift aber nur kurzfristig.
Im Jahr 2019 hatte Luxemburg eine Staatsschuld in Höhe von 14 Milliarden Euro. Bis 2026 ist eine Zunahme der Schulden von 14 auf 24 Milliarden Euro vorgesehen. Dies aber nur unter der Annahme, dass Bruttosozialprodukt und Arbeitnehmerzahl jeweils um 2,5 Prozent jährlich steigen. Das kann nicht ewig so weitergehen. Hier müssen andere Ansätze gefunden werden.
Eine Lösung wären Steuererhöhungen. Der Staat nimmt dann mehr ein. Aber vielleicht werden auch Unternehmen Luxemburg verlassen.
Reckinger: Das ist das größte Risiko. Wir müssen attraktiv bleiben. Wir sind eine sehr kleine Volkswirtschaft, und unser Markt ist außerhalb unserer Staatsgrenzen. Wir müssen relevant bleiben für ausländische Investoren wie auch für Arbeitnehmer.
Steuererhöhungen sind in diesem Zusammenhang absolut kontraproduktiv. Sowohl bei den Betriebs- wie auch der Individualbesteuerung muss nach unten korrigiert werden. Bei der Betriebsbesteuerung liegt Luxemburg mit 25 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von etwa 20 Prozent. Investoren müssen Gründe haben, nach Luxemburg zu kommen. Und wenn sie kommen, werden sie Aktivität generieren, was wiederum zusätzliches Steueraufkommen bedeutet. Das geht aber nicht durch Steuererhöhungen. Das ist absolut der falsche Weg.
Sowohl bei den Betriebs- wie auch der Individualbesteuerung muss nach unten korrigiert werden.
Olinger: In der Tat müssen wir versuchen, mehr Unternehmer und mehr Arbeitnehmer nach Luxemburg zu bringen. Dazu muss auch der ganze gesetzliche Rahmen angepasst werden, damit Innovationen gefördert werden, denn Innovation wird Arbeitskräfte und privates Kapital anziehen, und das wird qualitatives Wirtschaftswachstum von morgen generieren, was wiederum den Sozialstaat finanziert. Viele Gesetze, auch der steuerliche Rahmen, müssen an den energetischen, ökologischen und digitalen Herausforderungen ausgerichtet werden. Da sehen wir einen klaren Nachholbedarf. Aktuell es so, dass wir den Trends nur folgen, anstatt selber die Initiative zu ergreifen, um Trendsetter zu sein.
Gleichzeitig gibt es einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Aber haben die Bauunternehmer daran nicht mit Schuld und sich dabei eine goldene Nase verdient?
Reckinger: Ja und nein. Wer ist verantwortlich dafür, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Die Privatwirtschaft wird, vereinfacht gesagt, immer das machen, was sich betriebswirtschaftlich am meisten rechnet. Die Verantwortung dafür, dass finanziell schwächere Haushalte Zugang zu Wohnraum haben, hat der Staat. Er muss in den sozialen Wohnungsbau investieren. Das hat der Staat nicht gemacht. Er hat zwar versucht, über seine zwei Bauträger zu investieren, hat dabei aber versäumt, den Privatsektor einzubinden.
Die Verantwortung dafür, dass finanziell schwächere Haushalte auch einen Wohnraum bekommen, hat der Staat.
Vor 20 Jahren wurde alles, was im Kontext sozialer Wohnungsbau geschaffen wurde, zu ermäßigten Preisen in den Verkauf gegeben und nach einer Haltefrist von zehn Jahren zu Marktpreisen veräußert. Die Sozialwohnung war so verpufft. Und die letzten beiden Regierungen bauten über ihre beiden Bauträger Fonds de Logement und SNHBM 80 respektive 500 Wohnungen pro Jahr. Das reicht nicht. Man muss die Privatwirtschaft einbinden, die zu den gleichen Konditionen und Vorgaben wie die öffentlichen Bauträger sozialen Wohnungsbau betreiben kann. Angesichts der Nachfrage sind öffentliche Bauträger notgedrungen überfordert.
Vor den Wahlen wird da nichts geschehen: Aber denken Sie, dass nach den Wahlen der Index reformiert wird?
Reckinger: Jeder Mensch weiß, dass die Indexierung, so wie sie heute organisiert ist, zumindest sozial bedenklich ist. Man muss wirklich Kaufkraftverlust von jemandem, der über 10.000 Euro verdient, zu 100 Prozent ausgleichen? Was, wenn ein Betrieb, den Index nicht bezahlen kann, weil er genauso von Energiepreisen betroffen ist? Wo soll er denn diese im schlimmsten Fall 7,5 Prozent in diesem Jahr erwirtschaften?
Olinger: Der Steuerkredit, den die Regierung nach der Tripartite eingeführt hat, gilt für Jahresgehälter bis 100.000 Euro. Dies sind Größenordnungen, die einen nachdenklich stimmen. Wir dürfen unseren relativen Wohlstand nicht als Selbstverständlichkeit begreifen. In offenen Märkten zählt die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit. In der ganzen Diskussion wird oft vergessen, dass das ganze Geld erst einmal erwirtschaftet werden muss, das dann über das Staatsbudget umverteilt werden kann.
Es wird oft vergessen, dass das ganze Geld erst einmal erwirtschaftet werden muss.
Luxemburg fehlt eine Vision. Wohin soll das Land wirtschaftlich steuern und was möchten wir haben, Finanzplatz, Industrie? Ein Land mit einer starken Wirtschaft wird auch einen starken Sozialstaat finanzieren können. Aber uns nur auf den Sozialstaat zu fokussieren ist nicht nachhaltig und wird auf Dauer schiefgehen. Eine Zukunftsstrategie muss darauf aus hinauslaufen, dass wir Wirtschaftszweige stärken und ausbauen. Wirtschaftspolitik kann sich ja nicht nur Arbeitszeitreduzierung, Lohnausgleich, Index und höhere Renten beschränken. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, damit die Wohlstandsblase, in der wir leben, Bestand hat.
Was wünschen Sie sich für dieses Jahr?
Olinger: Dass wir jetzt nicht in einen Stillstand bis zu den Wahlen verfallen, sondern die Flexibilisierung der Arbeit angehen, die Diskussion zu Homeoffice mit den Nachbarländern weiterführen und steuerliche Anreize zur Innovationsförderung kommen.
Reckinger: Und Frieden in der Ukraine.
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