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„Gütertransport ist systemrelevant“
Wirtschaft 6 Min. 29.04.2020 Aus unserem online-Archiv

„Gütertransport ist systemrelevant“

Lastwagen werden am Flughafen be- und entladen: Das Frachtaufkommen hat sich nach einem Einbruch inzwischen normalisiert.

„Gütertransport ist systemrelevant“

Lastwagen werden am Flughafen be- und entladen: Das Frachtaufkommen hat sich nach einem Einbruch inzwischen normalisiert.
Foto:Guy Jallay
Wirtschaft 6 Min. 29.04.2020 Aus unserem online-Archiv

„Gütertransport ist systemrelevant“

Marco MENG
Marco MENG
Den Spediteuren kommt in der Krise eine wichtige Aufgabe zu - die Situation für Unternehmen und Fahrer bleibt aber schwierig.

Angenehm war für die Lastwagenfahrer in den letzten Wochen, dass die Straßen überwiegend frei waren. Unangenehm waren die geschlossenen Tankstellen und Rastplätze sowie fehlende Möglichkeiten, sich auf der Strecke duschen zu können. Das war vor allem in Frankreich so, hat sich aber inzwischen gebessert. „Auch dort hat man erkannt“, so Malik Zeniti, Direktor des Verbands Cluster for Logistics, „dass der Gütertransport systemrelevant ist.“ 

Als die Virusepidemie im Februar von China nach Europa überschwappte und zur Pandemie wurde, zeigten Hamsterkäufe überall, dass die Angst vor einem Zusammenbruch der Versorgung groß war. Dass es zu diesem Zusammenbruch nicht kam, lag nicht zuletzt auch daran, dass die Lastwagen weiterhin fuhren. Doch auch das Speditionsgeschäft ist von der Krise betroffen. 

Der europäische Nutzfahrzeugmarkt ist im März fast um die Hälfte eingebrochen ist – vor allem in Italien, Spanien und Frankreich -, nachdem bereits im Januar und im Februar die Zulassungszahlen für Lastwagen zurückgegangen waren. 

Der Luxemburger Logistik-Konzern Logwin hat letzte Woche seine Prognose für das Jahr 2020 revidiert und erwartet im ersten Quartal wegen der Coronakrise einen Rückgang des operativen Ergebnisses (Ebita) im Vergleich zum Vorjahr von zwölf auf neun Millionen Euro. 

So unterschiedlich die Unternehmen der Transportbranche aufgestellt sind, so unterschiedlich stark von der Krise betroffen, je nach dem, in welchen Branchen und Regionen sie tätig sind, darauf weist Zeniti hin. Wer vor allem Güter für die Autoindustrie transportierte, bei dem bestand das „Just-in-Time“ in den letzten Wochen vor allem aus Stillstand. 

Andere, die Lebensmittel oder Baumarktprodukte transportieren, wie Dachser, profitierten von einem Boom in diesen Märkten. Janine Weber, Leiterin der Dachser-Niederlassung in Grevenmacher mit seinen 45 Mitarbeitern, weist aber darauf hin, dass die vorübergehende Zwangspause auf den Baustellen im Land an anderer Stelle für Rückgänge sorgte. 

„Jetzt steigt es langsam wieder an“, so Weber. Die Verzögerungen wegen Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Tschechien, Bulgarien und Rumänien sowie zwischen Österreich und Ungarn sind abgehakt. 

Doch nach wie vor kann es sein, dass Fahrer am Abladeort kein Personal zum Entladen vorfinden. Manche Unternehmen in Spanien oder Italien arbeiten derzeit beispielsweise nur vormittags, andere nur nachmittags. Und vollends zum Albtraum wird es für die Spediteure, wenn sie keine Rückladungen finden. Leerfahrten kosten die Spediteure viel Geld. 

„Für manche gab es im März einen Volumenrückgang bis zu 50 Prozent,“ erklärt Zeniti. Die Transportunternehmen müssen Fahrten derzeit noch penibler planen als ohnehin schon. „Und haben die Transporteure ihren Auftrag erfüllt, hoffen sie nun darauf, auch rechtzeitig bezahlt zu werden“, so Zeniti. 

Erst Frachteinbruch, dann Boom 

Bis Ostern gingen die Frachtvolumen stark zurück. In den letzten zwei Wochen hat das Geschäft aber wieder angezogen, berichtet Frantz Wallenborn, Chef des gleichnamigen Transportunternehmens aus Munsbach. Inzwischen fahren die rund 900 Wallenborn-Laster, die unter anderem die Flughäfen Europas miteinander verbinden, weitgehend normal. 

„Was sich geändert hat, sind die Routen“, erklärt Wallenborn. Da keine Passagiermaschinen mehr fliegen, die stets auch eine gewisse Tonnage an Fracht zugeladen hatten, werden jetzt vor allem Flughäfen wie Paris und Frankfurt angefahren, wo große Frachtdrehkreuze sind. 


Frantz Wallenborn: „Ohne Fahrer geht es nicht“
Die Transportbranche bekommt immer mehr zu tun. Fahrermangel, gesetzliche Regelungen und kleine Lieferwagen, die von diesen Regelungen nicht betroffen sind, setzen den Spediteuren zu, sagt Frantz Wallenborn vom gleichnamigen Transportunternehmen.

Ein weiteres bedeutendes und boomendes Frachtdrehkreuz ist der Luxemburger Flughafen. Da im dortigen Cargocenter im März wegen congé parental aufgrund der Schulschließungen oder krankheitsbedingt viel Personal fehlte, kam zeitweilig die Frachtabwicklung ins Trudeln. Einige Flüge mussten nach Lüttich oder Köln umgeleitet werden. 

„Dank der Hilfe von Luxport, der CFL Multimodal, WSA und anderen konnten wir das aber schnell meistern“, sagt Luxair-Pressesprecher Joe Schröder. LuxairCargo betreibt am Findel das Cargocenter. Inzwischen hat sich die Personalsituation entschärft. Nach dem anfänglichen Frachteinbruch, als es wöchentlich 20 bis 30 Prozent nach unten ging, folgte ein Boom an Frachtflügen, die medizinische Ausrüstung brachten. 

Aktuell registriert der Luxemburger Flughafen wieder Frachtraten wie im letzten Jahr. „Als es in China anfing, war mir gleich klar, dass das auch bald nach Europa kommt“, erklärt Wallenborn. Schon im Januar hat das Speditions-Unternehmen darum für sein Personal Atemschutzmasken der Klasse FFP2 besorgt (schützt auch den Maskenträger) und seine Fahrer instruiert, physische Kontakte zu vermeiden. So wurden in Italien beispielsweise die Auflieger gewechselt ohne dass sich die Beteiligten Personen dabei nahekamen. „Eine Sache der Organisation“, sagt Wallenborn. 

Für andere Mitarbeiter wurde ein Schichtsystem eingeführt, manche arbeiten von zu Hause aus. Ähnlich beim Logistik-Unternehmen Arthur Welter in Leudelingen, wo die knapp 600 Mitarbeiter ebenfalls in zwei getrennte Schichten arbeiten, um mögliche Ansteckungen zu verringern, zudem arbeiten viele im Homeoffice, was mitunter die Kommunikation erschwert. „Durch den verlängerten Lockdown in China wegen der Virusepidemie im Anschluss an das chinesische Neujahr hat sich dort einiges an Waren aufgestaut, die jetzt alle hier eintreffen“, erklärt Daniel Kohl, Senior Executive Advisor von Arthur Welter, den Luftfrachtboom. 

Was das übrige Geschäft anbelangt, so ändere sich die Situation „fast stündlich“. Kohl weiter: „Bei den Kunden herrscht Unsicherheit, auch wegen der Intransparenz, welche Regeln und Ausnahmen nun in welchem Land und welcher Region gelten.“ 

Das Thema „Straßentransporte in Europa und Schnittstelle zur Luftfracht“ und die aktuell komplizierte Situation wurde gestern auch auf einer Videokonferenz der Union Europäischer Industrie- und Handelskammern (UECC) behandelt. 

Langsames Hochfahren 

Einzelhandelsgeschäfte, Gastronomie und nahezu die gesamte europäische Autobranche, sei es Handel wie Fabriken, hatten seit Mitte März geschlossen. Seit Montag produzieren viele Autohersteller wieder – vorerst auf Sparflamme. 

Auch der Reifenhersteller Goodyear in Colmar-Berg sowie der Autoscheibenhersteller Carlex in Grevenmacher haben wieder den Betrieb aufgenommen, allerdings ebenfalls noch auf sehr niedrigem Niveau, wie Carlex-Werksleiter Alain Roselaer sagt, „in Abhängigkeit des Produktionsstarts unserer Kunden“.  


Goodyear-Testzentrum in Colmar-Berg
Goodyear legt Werk still
Der Reifenhersteller legt ab Ende der Woche seine europäischen Werke still - auch in Luxemburg.

Ende Mai, so schätzt Roselaer, könnte das Produktionsvolumen in Grevenmacher die Hälfte der normalen Kapazität erreichen. Volkswagen in Wolfsburg und Skoda in Mlada Boleslav produzieren wieder. BMW, Daimler, PSA, FCA und Renault wollen im Mai folgen. Nach fast sieben Wochen Stillstand hat auch die Regierung Italiens, Europas drittgrößte Volkswirtschaft, den Startschuss für ein schrittweises Ende der strengen Corona-Sperren gegeben und lockert ab 4. Mai eine Reihe von Beschränkungen. 

Um den Gütertransport nicht noch zusätzlich zu erschweren hatten verschiedene Länder wie Österreich oder Frankreich ihr übliches Wochenendfahrverbot von Samstag 22 Uhr bis Sonntag 22 Uhr ausgesetzt. Seit letztem Wochenende ist es in Frankreich wieder in Kraft. Auch das ein Hinweis darauf, dass sich der Transport zu normalisieren beginnt.

Im Luxemburger Wirtschaftsministeriums verfolgt man derweil weiter die Strategie, das Land mittels eines „Supply Chain Control Tower“, zu einem Logistik-4.0-Hub zu machen: Mit Datenanalysen in Verbindung mit künstlicher Intelligenz könnten die Auswirkungen unvorhergesehener oder externer Ereignisse vorhergesehen werden. Den Transportunternehmen würde so nicht nur erlaubt, die Nachfrage zu prognostizieren, sondern auch, wie auf störende, unvorhergesehene Ereignisse schnell zu reagieren ist. 

Ein Projektteam des Forschungszentrums LIST sowie des Clusters for Logistics hat letzte Woche bei einer Ausschreibung des Fonds National de la recherche (FNR ) mit einem Projekt die finanzielle Unterstützung gewonnen, um für Krisenfälle wie Covid-19 ein solches Control Tower zu erstellen.

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