Die Arbeit frisst viele auf
Die Arbeit frisst viele auf
Ständige Erreichbarkeit, unzählige Überstunden, keine Zeit für sich: Der Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben gelingt Menschen in Luxemburg immer weniger. Das stellen die Universität Luxemburg und die Chambre des salariés Luxembourg (CSL) in einer neuen Studie fest, die die Arbeitsqualität und -bedingungen der in Luxemburg tätigen Arbeitnehmer zusammenfasst.
Der von der Uni erstellte "Quality of work"-Index untersucht unter anderem, inwiefern die Arbeitnehmer in Luxemburg Berufstätigkeit und Familie miteinander vereinbaren können. Das Ergebnis ist eindeutig: "Work-Life-Konflikte haben zwischen 2014 und 2019 deutlich zugenommen", sagt David Büchel, Arbeitspsychologe bei der CSL. So geben 43 Prozent der Befragten an, manchmal, oft oder fast immer Schwierigkeiten mit dem Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben zu haben.
Verschiedene Arbeitnehmergruppen sind mehr betroffen als andere. Der Studie zufolge hat sich die Vereinbarkeit bei 50 Prozent der Frauen verschlechtert, bei Führungskräften steigt der Wert sogar auf 60 Prozent. In den intellektuellen und wissenschaftlichen Berufen sind 52 Prozent der Beschäftigten mit ihrer Work-Life-Balance unzufrieden – im Finanz- und Versicherungssektor sind es 52 Prozent. Das hat in erster Linie mit den geleisteten Mehrstunden zu tun: "Mit den ersten Überstunden steigt der Anteil derjenigen, die mit ihrer Work-Life-Balance unzufrieden sind - und zwar von 33 auf 49 Prozent", sagt David Büchel.
Häufige Überstunden
Überstunden gehören in vielen Unternehmen zum traurigen Alltag – und nicht immer gibt es dafür Geld oder Freizeitausgleich. 31 Prozent der Erwerbstätigen erhalten keine Gegenleistung für ihre zusätzliche Arbeit. Das ist ein Problem, denn immerhin leisten 46 Prozent aller Beschäftigten hierzulande Überstunden. Der größte Anteil (27 Prozent) leistet eine bis fünf Stunden mehr, 13 Prozent arbeiten bis zu zehn Stunden mehr, sieben Prozent leisten sogar mehr als zehn Überstunden pro Woche.
46 Prozent der Arbeitnehmer machen regelmäßig Überstunden, weil ihre reguläre Arbeitszeit nicht ausreicht, um ihre Arbeitsaufgaben erledigen zu können.
Die Studie zeigt einen klaren Trend: 46 Prozent der Arbeitnehmer machen regelmäßig Überstunden, weil ihre reguläre Arbeitszeit nicht ausreicht um ihre Arbeitsaufgaben erledigen zu können. 13 Prozent bleiben Abends länger, weil der Chef von seinen Mitarbeitern mehr Arbeitsstunden erwartet. Nur vier Prozent machen Überstunden, weil sie mehr Geld verdienen wollen.
Ein weiterer Trend in der Arbeitswelt ist, dass immer mehr Beschäftigte ihre Pausenzeiten kürzen. Ein Fünftel der Beschäftigten in Luxemburg verkürzt die Auszeit, 23 Prozent arbeitet sogar ohne Pause durch.
Burnout-Risiko steigt
Kein Wunder also, dass die Zufriedenheit am Arbeitsplatz zwischen 2017 und 2018 deutlich gesunken ist. Im Jahr 2019 hat sich die Situation leicht verbessert, dennoch befindet sich der Burnout-Level weiterhin auf einem hohen Niveau. Das Burnout-Risiko ist seit 2014 um 18 Prozent gestiegen, heißt es in der Studie.
Viele Arbeitnehmer bis 34 Jahre berichten über eine höhere körperliche Belastung. Und: In vielen Fällen wird die Arbeit zur emotionalen Überforderung. Seit 2016 sind diese belastende Situationen um 16 Prozent gestiegen.
Die Studie macht auch deutlich, dass positive Rahmenbedingungen wie etwa Partizipation und die Gewährung von Entscheidungs- und Zeitspielräumen "tendenziell einen Abwärtstrend aufzeigen". Zudem beklagen ältere Arbeitnehmer über geringere Beförderungsmöglichkeiten und größere Schwierigkeiten bei einem potenziellen Jobwechsel.
Geringeres Unfallrisiko
Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die körperliche Belastung am Arbeitsplatz ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, das Unfallrisiko ist weiter zurückgegangen. Auch die Sicherheit am Arbeitsplatz wird ernster genommen.
Alles in allem zeigt die Studie, dass "die subjektiv wahrgenommene Arbeitsqualität, global gesehen, zwischen 2014 und 2019 auf konstantem Niveau verharrt", erklärt David Büchel abschließend.
Nora Back: "Eine dramatische Entwicklung"
"Die Ergebnisse der Studie sind erschreckend", so Nora Back, Präsidentin der Chambre des salariés, nach der Vorstellung der Studie. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen immer mehr. "Das ist eine dramatische Entwicklung. Wir müssen mit aller Macht versuchen, dagegenzuwirken."
Es gelte mehr denn je, Antworten auf die Herausforderungen einer sich verändernden Arbeitswelt zu finden. "Wir können nicht einfach zuschauen, wie immer mehr Menschen flexibler arbeiten, Überstunden leisten und ständig verfügbar sein müssen". Dass 31 Prozent der Arbeitgeber für ihre Überstunden kein Geld erhalten, sei nicht hinnehmbar, sagt Nora Back, die strengere Kontrollen in den Betrieben fordert.
"Die Gesetze werden nicht überall eingehalten. Wir müssen über neue Modelle mit den Arbeitgebern und der Regierung nachdenken". Gerade in solch schwierigen Zeiten sei es Schade, dass der nationale Sozialdialog "blockiert" sei.
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